Von meinem Schreibtisch: Shendria wächst

Seite 122 von 485 war der aktuelle Bearbeitungsstand von DAS BUCH SHEN.

Zeit euch mal einen unlektorierten Blick riskieren zu lassen:

Aus dem Unterholz neben der Wegstraße sprangen plötzlich zwei Bewaffnete. Die Läufe ihrer Armbrüste waren direkt auf Bryan und Skye gerichtet und ihre Finger krümmten sich bedrohlich weit um die Abzüge. Bryan hielt vor Schreck inne.

Skye zog ihr Krummschwert so schnell, dass weder Bryan noch die beiden Wegelagerer es wirklich registrierten. Sie nahm eine leicht geduckte Haltung ein.

Bryan wurde flau im Magen. Er beobachtete, wie sich Skyes Muskeln anspannten. Sie war bereit für einen Angriff. Er selbst dachte nicht daran, sein Schwert zu ziehen. Die ganze Situation kam ihm trotz der Gefahr, in der er schwebte, unwirklich vor.

Hinter ihnen ertönte ein Rascheln. Bryans Starre löste sich, getrieben vom Selbsterhaltungstrieb und einem plötzlichen Adrenalinschub, der zuvor ausgeblieben war. Er fuhr herum, griff hinter den Kopf und bekam den in Leder gewickelten Griff des Breitschwertes zu fassen. So schnell er konnte zog er es aus der Scheide. Zwei weitere Räuber waren in seinem Rücken erschienen und hatten ihn und Skye damit eingekreist. Nun stand es vier gegen zwei!

Als wenn es eine Rolle spielt, dass ich ein Schwert halte, dachte Bryan. Es ist eher vier gegen eine.

„Steckt die Waffen weg, Leute, dann geschieht euch nichts“, rief einer der Männer. Seine Worte klangen eher wie ein Bellen. „Wir wollen nur euer Geld.“

Bryan spürte Skyes Schulter in seinem Rücken. Sie drängte sich dicht an ihn heran und flüsterte: „Auf mein Kommando erledigst du deine beiden!“

Was? Wie stellt sie sich das vor? Ich?

Er konnte doch nicht einfach diese beiden Männer töten, ganz abgesehen davon, dass er vermutlich überhaupt keine Chance gegen sie hatte. Immerhin zielten noch immer zwei Armbrüste auf ihn. Doch Skye schien sich ihrer Sache sicher zu sein. Rauben und Morden stand in Shendria anscheinend an der Tagesordnung. Die Kriegerin war auf die Situation vorbereitet. Er indes …

„Jetzt!“, hörte Bryan den Ruf Skyes.

Ein Fauchen ertönte, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Das Scheppern von Metall lag in der Luft. Dann der Aufschrei einer der Männer.

Bryan machte einen Schritt vorwärts. Wieder ein Fauchgeräusch und unmittelbar darauf spürte er den stechenden Schmerz in der Schulter. Er stoppte jäh und taumelte rückwärts. Das Brennen breitetete sich über den ganzen Arm aus und trieb ihm schlagartig die Luft aus den Lungen. Da sah er den Bolzen, der in seiner Schulter steckte.

Noch ein Fauchen. Bryan knickte in den Knien ein und hatte Glück, dass ihn der zweite Bolzen, der auf seinen Kopf gezielt war, so verfehlte. Die Schmerzen strahlten, erreichten seinen Hals und lähmten die linke Körperhälfte. Er stand auf und stützte sich mit dem Schwert ab. Nur verschwommen nahm er wahr wie die beiden Schützen ihre Armbrüste nachluden. Er durfte ihnen keine zweite Chance geben. Diesmal würden sie ihn töten.

Zwei Schritte nach vorn. Er packte den Griff des Schwertes mit beiden Händen und hob die Klinge weit über den Kopf – viel zu weit, viel zu langsam!

Der erste Schütze hob die Waffe, zog den Abzug. Mit einem Fletschen wurde die Sehne aus der Halterung gelöst und katapultierte den kleinen Bolzen in Bryans Richtung. Als das Geschoss in seine Kehle eindrang, sah er nur eine grelle Explosion die mitten in seinem Kopf ihr Zentrum zu haben schien. Er gurgelte, rang nach Atem, spuckte Blut. Wieder knickte er ein, hatte diesmal jedoch nicht mehr die Kraft, sich aufzurichten. Er fiel der Länge nach auf den Boden, ließ das Schwert los, prallte mit dem Kopf auf und röchelte. Noch immer sprudelte das Blut aus der Halsschlagader, die durch den Bolzen getroffen worden war. Bryan war nicht mehr fähig, die wahnsinnigen Schmerzen zu spüren. Ihm schwanden die Sinne. Die Welt drehte sich um ihn. Seine Augenlider flatterten.

Dann nur noch tiefschwarze Nacht.

Das ist also der Tod, war sein letzter Gedanke.

Irgendwo in der weiten, unendlichen Ferne gab es ein schwaches Licht, und ihm war, als treibe er durch einen ewig währenden Tunnel auf diesen Funken zu.

*

Skye stürmte ohne Vorwarnung vorwärts und trennte dem ihr am nächsten stehenden Räuber den Schußarm mit einem einzigen, sauberen Schwertstreich ab. Er schrie nur kurz auf, denn die Kämpferin setzte sofort mit einem Schnitt gegen seine Kehle nach. Noch während er rückwärts umkippte, hechtete Skye nach vorn, rollte sich über die Schulter ab und entging nur knapp dem abgefeuerten Bolzen. Sie hörte zwei weitere Armbrüste sirren und hoffte, dass sie nicht den Jungen erwischt hatten. Skye kam hoch und stieß ihrem Gegner die Stahlklinge in den Unterleib. Dem Mann quollen die Augen gefährlich weit hervor, und er öffnete den Mund zu einem Todesschrei, der jedoch nie über seine Lippen kam. Die Kriegerin zog die Klinge aus dem Leib und wirbelte herum.

Noch ein Schuss.

Nein!

Skye sah wie der Bolzen Bryan an der Schulter erwischte. Sie rannte los. Einer der Angreifer merkte, dass er nicht mehr rechtzeitig nachladen konnte, ließ die Armbrust fallen, zog dafür ein Kurzschwert aus seinem Gürtel und stellte sich Skye in den Weg. Derweil konnte der andere Schütze mühelos einen weiteren Bolzen abfeuern, der Bryans Kehle durchtrennte. Mit einem Wutschrei federte Skye vom Boden ab und sprang den ersten Räuber an. Die Attacke kam für ihn viel zu schnell. Mit seiner kurzen Klinge hatte er eine weitaus geringere Reichweite, als Skye mit ihrem gekrümmten, einschneidigen Schwert. Metall klirrte aneinander. Es folgte ein kurzer Schlagabtausch, ehe die Waffe des Räubers in hohem Bogen durch die Luft wirbelte. Skye holte aus und hätte ihm fast den Kopf von den Schultern geschlagen, als sie mitten im Hieb plötzlich erstarrte. Erstaunt blickte der Gegner sie an und schaute dann in die Richtung, in der sie gerade sah.

Brüllend jagte eine Manticore auf die Kämpfenden zu – vermutlich dasselbe Ungeheuer, das Bryan und sie noch einen Tag zuvor beobachtet hatten.

Der Räuber, der Bryan die Kehle aufgeschossen hatte, wandte sich panisch um und wollte fliehen, doch schon traf ihn die Pranke des Löwenleibs und warf ihn zu Boden. Gnadenlos trieb das Wesen seinen Skorpionstachel in den Mann und tötete ihn.

Skye warf sich zur Seite in Bryans Richtung, während die Manticore sich auf den zweiten Räuber stürzte und ihre Reißzähne, die wie Fänge eines Tigers aus dem Mund ihres menschlichen Gesichts ragten, in seinen Hals rammte. Die Kriegerin zerrte Bryan hoch. Sie hatte Mühe ihn über ihre Schulter zu hieven, doch die das Fauchen und Schmatzen der Manticore gab ihr zusätzliche Kraft. Lange würde sie Bryans Gesicht jedoch nicht halten können.

Drei, vier Schritte ins Unterholz.

Weiter!, sagte ihr Verstand, doch die Kraft verließ sie. Sie stolperte, ließ Bryan fallen und landete im Moos neben ihm. Hastig langte sie nach seinem Rucksack und zog die Phiole mit Heiltrank hervor. Sie entkorkte das Fläschchen und vergeudete die Hälfte der Tinktur damit, Bryans Kehle von außen zu durchtränken. Mit einem Zischen und aufsteigendem Qualm schloss sich die Wunde, verkrustete erst und verschwand dann fast ganz. Nur eine kleine Narbe vom Einstich des Bolzens blieb zurück.

Skye öffnete Bryans Mund, indem sie ihre Finger gegen die Wangen drückte, dort, wo die Kiefergelenke saßen. Dann flößte sie ihm den Rest des Heiltranks ein. Er schluckte, trank die Tinktur und schlug die Augenlider auf. Aufatmend ließ sich Skye zurück auf den Boden fallen. Mit seiner Schulterwunde musste er so auskommen, denn sie dachte nicht im Traum daran, dafür ihre Phiole anzubrechen.

„Tot“, murmelte Bryan, „ich bin tot.“

Skye legte einen Zeigefinger auf seine Lippen. „Noch nicht. Aber wenn du nicht gleich ruhig bist, schon bald.“

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